Krebs Aktuell | 16. Februar 2025

Kinder, Krebs und Hoffnung

heute wird es sehr persönlich und emotional – so wie meine vergangene Woche. Theda bekam ihre ersten Halbjahresinformationen auf dem Gymnasium, und wieder einmal wurde mir bewusst, wie tief meine Sorgen um sie reichen.

Krebs zu haben, mit den körperlichen Einschränkungen zu leben und die ständige Angst vor einem Progress auszuhalten, ist das eine. Doch zu sehen, was das mit dem eigenen Kind macht, ist eine völlig andere Dimension von Verzweiflung. Es ist eine Angst, die einen nie loslässt – die Angst, dass ich meiner Tochter keine sichere Zukunft bieten kann.

Theda ist jetzt 12 Jahre alt. Sie kennt es nicht anders, als mit einer krebskranken Mutter aufzuwachsen. Der Krebs kam während meiner Schwangerschaft und ist seitdem ein Teil unseres Lebens.

Zwischen Hilflosigkeit und Unverständnis

Viele Krankenhausaufenthalte, Operationen, Therapien – was das mit einem jungen Kind macht, kann man sich kaum vorstellen. Theda hat in ihrem kurzen Leben schon zu viel Leid gesehen, zu viel Verlust erlebt. Und sie hat reagiert, wie Kinder auf Trauma oft reagieren: mit Angst, mit Wut, mit Verzweiflung.

Schon als sie klein war, habe ich überall nach Hilfe gesucht. Ich habe an Türen geklopft, mich an Fachstellen gewandt – doch die Unterstützung, die wir so dringend gebraucht hätten, blieb aus. Und mit jeder verstrichenen Zeit wuchs Thedas Wut. Wut über das, was sie durchmachen musste. Wut über eine Welt, die für Kinder wie sie keinen Platz zu haben schien.

Von der Förderschule zum Gymnasium

In der Grundschule scheiterte sie an einem System, das nicht für Kinder wie sie gemacht ist. Ein verzweifelter Wutanfall? „Ab hinter den Schrank“. Zu viele Emotionen? „Dann muss die Polizei kommen“. Arbeitsverweigerung und schlechte Noten? „Dann hat das Kind wohl eine geistige Behinderung und gehört hier nicht hin“ (alles echte Zitate!). Sie war 9 Jahre alt, als sie dort aus dem Fenster springen wollte.

Wir fanden zum Glück einen Platz an einer Förderschule für Sprache. Zum ersten Mal Menschen, die hinschauten. Die fragten: „Was hat das Kind erlebt?“ Doch in Betragen reichte es dort trotzdem nicht über eine 4 hinaus. Meine Tochter – das schwierige Kind!

Und nun ist dieses Mädchen am Gymnasium, trotz alledem. Die Grundschule hatte „Bauchschmerzen“ bei der Bildungsempfehlung. Ich hatte Bauchschmerzen wegen des Schulsystems. Aber wir fanden ein besonderes Gymnasium. Eines, das sich echte Inklusion auf die Fahne geschrieben hat. Das Kinder nicht an ihrem Verhalten misst, sondern an ihrem Weg.

Und am Freitag gab es eben die erste Halbjahresinformation.

In Betragen steht da plötzlich eine 1. Du kannst dir sicher vorstellen, wie sprachlos wir alle sind – und glücklich. Der Gesamtdurchschnitt liegt bei 1,6. Das Kind, das „nicht an eine normale Schule gehört“, das Kind, das „die Polizei braucht“ findet plötzlich Raum, um sich zu entfalten, wird gesehen und gestärkt.

Ich kann nicht aufhören, vor Erleichterung zu weinen. Denn diese Schule steht für mehr als nur für ein paar Noten auf einem Papier. Sie steht für meine Hoffnung und Zuversicht, dass Theda ihren Weg gehen kann, auch wenn ich nicht mehr da sein sollte. Sie braucht nur wundervolle Menschen an ihrer Seite, die an sie glauben.

Was Kinder krebskranker Eltern wirklich brauchen

Wenn ein Elternteil Krebs hat, leiden die Kinder leise mit – oft ohne, dass wir es merken. Jüngere Kinder können Ängste und Sorgen nicht in Worte fassen, ältere verschließen sich oder werden aggressiv. Laut Fachleuten wird jedes zehnte Kind krebskranker Eltern psychisch auffällig, ich halte diese Zahl für zu gering angesetzt. Ich habe selbst viel zu lange gebraucht, um zu erkennen, wie sehr Theda unter meiner Erkrankung leidet. Meine Erkenntnisse aus den letzten 12 Jahren:

  • Offenheit: Schweigen schützt nicht, denn Kinder merken die Veränderungen sowieso. Sie brauchen Ehrlichkeit, auch wenn wir ihnen keine falschen Versprechen machen können.
  • Emotionale Unterstützung: Kinder sollen wissen, dass ihre eigenen Bedürfnisse erlaubt sind. Es darf Wut geben, es darf Fröhlichkeit geben, und sie sind nicht schuld an Mamas oder Papas Krankheit.
  • Professionelle Hilfsangebote: Psychoonkolog:innen, Beratungsstellen wie Flüsterpost e.V. oder Hilfe für Kinder krebskranker Eltern e.V. stehen bereit, um Familien zu begleiten. In vielen Regionen gibt es zudem spezielle Gruppen für Kinder krebskranker Eltern.

Inklusion und Mitgefühl

Thedas Geschichte zeigt, wie wichtig es ist, Kindern mit krankem Elternteil eine Chance zu geben, trotz aller Herausforderungen. Das klappt nur, wenn wir Empathie statt Vorverurteilung üben. Schulen, Kliniken, Beratungsstellen können unglaublich viel bewirken, wenn sie ihre Türen öffnen und aktiv nachfragen: „Wie geht es den Kindern?“ und „Was können wir tun, um sie zu stärken?“

Gemeinsam statt einsam

Ich kann sagen: Ohne die einfühlsame Psychologin, die Theda heute betreut, wären wir längst zerbrochen. Und auch die aufmerksamen Pädagog:innen, die meine Tochter nun an ihrer neuen Schule begleiten, sind ein Segen. Sie zeigen mir, dass echte Inklusion möglich ist, wenn man sich nur ein bisschen Mühe gibt – und wenn man Kinder nicht abstempelt, sondern ihnen Raum gibt, ihre Gefühle auszuleben und zu verstehen. Nichts ist kostbarer, als endlich eine Umgebung zu finden, in der sie aufblühen können – trotz aller Umstände.

Unsere Geschichte ist nur eine von vielen Familiengeschichten mit Krebs. Deshalb beginnen wir nächste Woche in unserem Community-Bereich mit regelmäßigen Online-Treffen für betroffene Eltern. Dort können wir unsere Erfahrungen miteinander teilen, uns dabei unterstützen, schnellere Hilfen zu bekommen und unsere Sorgen miteinander tragen.

Aber nun genießen wir erst einmal die wohlverdienten Winterferien und ich lehne mich etwas zurück in dem Wissen, dass die Löwenmama in mir einen kleinen Sieg errungen hat. Vielleicht kann ich ja jetzt häufiger einfach mal Hasenmama sein – ganz ohne Kampf und Gebrüll.

Winterliche Grüße aus Leipzig
deine Babett

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